„Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.“
So alt diese Aussage von Johann Wolfgang von Goethe schon ist, so unheimlich wichtig ist sie noch heute! Die Basis einer guten Eltern-Kind-Bindung sind die tiefen und starken Wurzeln, die wir unseren Kindern von Anfang an mit auf den Weg geben sollten, damit sie dann, wenn sie „sicher gebunden“ sind, ihre Flügel aufspannen und die Welt auf eigene Faust entdecken können.
Der Aufbau einer sicheren Bindung setzt sich, nach der Zeit im Bauch, sofort nach der Geburt fort. Das sogenannte „Bonding“ in den ersten Stunden und Tagen nachdem das Baby das Licht der Welt erblickt hat, ist ausschlaggebend für den weiteren Verlauf der Bindung. Am schönsten für Mutter und Baby ist es in der Regel, wenn das Kleine direkt nach der Geburt auf den nackten Oberkörper seiner Mama gelegt wird und sofort die Kennenlern-Phase beginnen kann. Leider ist dies nicht immer möglich, beispielsweise bei einem Kaiserschnitt, wenn die Mutter oder das Kind erst noch separat versorgt werden müssen. Doch auch in einem solchen Fall kann Bindung selbstverständlich gelingen! Viel Körperkontakt und die noch stärkere Einbeziehung des Vaters sorgen für eine vergleichbare Ausgangssituation.
Allgemein können Eltern einiges tun, um die Bindung zu ihrem Kind zu stärken. So ist es wichtig, sich in den ersten Wochen nach der Geburt die Zeit zu nehmen, um als junge Familie zusammenzuwachsen, sich kennenzulernen und einen ersten Rhythmus zu finden. Auch Stillen nach Bedarf und viel Hautkontakt durch Tragen des Babys fördern die Bindung des Kindes zu seinen Eltern.
Aus wissenschaftlicher Sicht wird in der Bindungstheorie zwischen verschiedenen Bindungstypen unterschieden. Allgemein gesprochen kann ein Kind sicher und unsicher gebunden sein. Sicher gebundene Kinder haben die oben genannten „Wurzeln“, also ein Urvertrauen in ihre Bezugspersonen, entwickeln können und sind mit dieser Grundlage bestens ausgerüstet, sich Stück für Stück zu lösen und die Welt auf eigenen Füßen zu erkunden. Wurden die Bedürfnisse des Kindes missachtet und das Kleine oft zurückgewiesen, hat es ständig Angst, von seinen Bezugspersonen verlassen zu werden. Der Fokus des Kindes ist stets auf der Herstellung einer guten Bindung gerichtet und solange dieses Bedürfnis nicht erfüllt ist, hat es das Kind schwer, seine Neugierde und sein Erkundungsverhalten zu aktivieren. Ungestillte Bedürfnisse tauchen früher oder später wieder auf.
Die Ursachen für eine Bindungsstörung sind vielfältig. Traurig aber leider nicht so selten ist z.B. die Anwendung von sogenannten „Schlaflernprogrammen“. Unter der Annahme, ein Baby könne das selbständige Ein- und Durchschlafen LERNEN, lässt man das Kleine „kontrolliert schreien“. Diese Vorgehensweise ist zwar oft „erfolgreich“, doch wüssten die Eltern um die Hintergründe für diesen vermeintlichen „Erfolg“, würden sie sich mit stolzen Berichten beim nächsten Besuch in der Krabbelgruppe vermutlich zurückhalten. Kurz gesagt hat Ihr Baby nämlich bei dieser Prozedur nichts „gelernt“, sondern es hat schlicht und einfach „resigniert“, die Schutzmechanismen des Gehirns haben sich eingeschalten, um das Kind vor noch mehr Schmerz und Verletzung zu schützen. Das Grundvertrauen in die Bindungsperson kann davon Schaden nehmen.
Dabei ist es so offensichtlich, dass Kinder von einer starken Bindung profitieren. Nur so können sie zu selbständigen, selbstbewussten, neugierigen, eigenständig denkenden und kreativen Persönlichkeiten werden. Ein Zuviel an Bindung gibt es nicht: Ein Kind sollte „satt“ an Nähe und Zuwendung sein, um reifen zu können. Damit haben die Eltern die Basis für ein selbstbestimmtes Leben ihrer Kinder gelegt. Wichtig ist noch, zu erwähnen, dass eine Bindung nachträglich immer noch gestärkt werden kann. Auch ein unsicher gebundenes Kind kann sich noch sicher binden und auch umgekehrt. Wir können jederzeit an der Bindung zu unseren Kindern arbeiten, wir haben es in der Hand.