Oder wie ich mich im Alltag manchmal selbst verliere
Es gibt Tage, an denen stelle ich mir hin und wieder die bohrende Frage “Warum können meine Kinder nicht einfach auf mich hören?!”. An diesen Tagen bin ich meist angespannt, habe viele Termine und setze mich so selbst und damit auch meine Kinder unter Druck. Dann werde ich ungeduldig, wenn sich die Kinder z. B. nicht direkt nach meiner ersten Bitte selbst anziehen oder mir im Stechschritt folgen. An diesen Tagen fällt es mir sehr schwer, die bereitwillige Kooperation meiner Kinder mit mir, die viel zu oft als selbstverständlich angesehen wird, zu erkennen und zu würdigen. Dann sehe ich nicht, wann meine Kinder überfordert sind oder ich sie unbewusst gekränkt habe. An diesen Tagen ist es mir manchmal unmöglich, den Wunsch nach Selbstbestimmung und Autonomie meiner Kinder als schützenswertes Geschenk zu sehen. Dann meckere und nörgle ich, wenn sie eigene Pläne haben und diese verfolgen möchten. An diesen Tagen falle ich viel zu leicht in die längst überwunden geglaubten Verhaltensmuster zurück. Dann gelingt es mir plötzlich nicht mehr, verständnisvoll und empathisch zu sein. An diesen Tagen sehe ich die vielen funktionalen Kinder, die den Anweisungen ihrer Eltern widerspruchslos Folge leisten. Dann beneide ich diese Eltern in meinem schwachen Moment um die Folgsamkeit ihrer Kinder. Doch schon bei dem Gedanken daran wird mir bewusst, dass ich dieses Verhalten bei meinen Kindern im Innersten gar nicht möchte, auch wenn es hin und wieder verlockend erscheint. Ich möchte mit meinen Kindern in Beziehung sein und nicht an ihnen herumziehen. Mein Ziel ist es, meine Kinder auf ihrem Weg zu selbstbewussten, selbstbestimmten, selbstständigen und vor allem selbst denkenden jungen Erwachsenen zu begleiten. Der Missbrauch meiner Macht als Erwachsener und die Unterwerfung meiner Kinder sind auf diesem Weg gefährliche Stolpersteine, die ich umschiffen möchte.
An solch strapaziösen Tagen hilft nur eines: Den eigenen Stress und dessen Auswirkungen erkennen - tief durchatmen - negative Gedanken zurückstellen und im besten Fall durch positive ersetzen - die Anspannung reduzieren - um Hilfe bitten. Ich versuche dann, das Verhalten meiner Kinder nicht auf mich zu beziehen und mich nicht provoziert zu fühlen. Am Ende solcher Tage spreche ich mit meinen Kindern, warum der Tag für uns alle so anstrengend war und entschuldige mich für mein Verhalten. Am Ende solcher Tage liege ich oft im Bett und forsche nach den Auslösern. An welchem Punkt habe ich begonnen, die Nicht-Kooperation meiner Kinder persönlich zu nehmen und auf Autopilot zu schalten? In welcher Situation hat meine Impulskontrolle versagt? Wann habe ich mich zwischen Termindruck und ToDo-Liste selbst verloren? Und was hätte ich in dem Moment anderes tun können, um achtsam und wertschätzend zu bleiben? Am Ende solcher Tage bleiben meist wichtige Erkenntnisse: Ein gleichwürdiges Zusammenleben mit Kindern erfordert auch von Erwachsenen Achtsamkeit mit sich selbst, die Bereitschaft zur persönlichen Weiterentwicklung und Selbstreflexion. Am Ende solcher Tage bin ich dankbar, dass mir meine Kinder sehr deutlich zeigen, wenn ich über ihre und meine Grenzen gehe, indem sie meinen Bitten nicht schweigend Folge leisten.
Ich befinde mich auf einem Weg, auf dem jeder kleine Schritt wichtig ist, auch wenn er manchmal rückwärts zu gehen scheint.
Katja Schill
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